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Johannes Rauch

Es ist eine Menge Geld, aber es ist nur Geld

Aktualisiert: 11. Nov. 2021

Erste Gedanken zum Bundesbudget 2022


Nicht wenige Menschen beantworten die Frage, was sie zum Erreichen der Glückseligkeit benötigen würden, lapidar mit: „Geld.“ So verständlich diese Antwort ist, sie greift doch viel zu kurz. Denn am Geld, das behaupte ich im Einklang mit den meisten Philosoph:innen, wäre uns relativ wenig gelegen, würde es nicht dazu dienen, uns Dinge zu verschaffen, die uns wertvoll erscheinen – oder, aus dem Blickwinkel der Gesellschaft gesprochen, Verhältnisse herzustellen, die uns dem Glück oder dem guten Leben für alle einen kleinen Schritt näher bringen. Geld ist also lediglich ein Mittel zum Zweck, aber niemals ein Zweck an sich, mögen die “Wolves of Wall Street” das auch anders sehen.

So betrachtet stellt das gestern präsentierte Bundesbudget 2022 mehr dar als bloß den unvermeidlichen Stehsatz von der „in Zahlen gegossenen Politik“ der Bundesregierung. Es reflektiert vielmehr den gesellschaftlichen Veränderungsanspruch, den, das behaupte ich, ohne rot zu werden, insbesondere die Grünen dem Regierungsprogramm 2020–2024 beigemischt haben. Denn die zentrale Frage, die wir uns vor dem Beginn der Koalitionsverhandlungen mit der ÖVP stellten, lautete tatsächlich: „Wie bewegen wir uns auf das Ziel des guten Lebens für alle zu?“, wobei wir in das kleine Wörtchen „alle“ besonders auch die zukünftigen Generationen einschlossen.


Wie haben wir uns unter diesen Prämissen also geschlagen?


Die aktuellen innenpolitischen Turbulenzen gebieten es, die Analyse mit dem Justizressort zu beginnen. Justizministerin Alma Zadić hat den von ihrem Amtsvorgänger Clemens Jabloner prophezeiten „stillen Tod der Justiz“ schon im letzten Jahr verhindert. Bereits im Budget 2021 wurde das Justizbudget um 65 Millionen Euro erhöht, und nun steigen die Mittel ein weiteres Mal um 76,4 Millionen auf beinahe 1,9 Milliarden Euro. Rund 40 % dieser Anhebung fließen in den Personalbereich. Dadurch wurden die Staatsanwaltschaften in die Lage versetzt, zusätzliche Planstellen zu schaffen, um tatsächlich unabhängig und in angemessener Geschwindigkeit zu ermitteln. Ohne Alma Zadićs Beharrlichkeit in den Budgetverhandlungen wüssten wir heute mit hoher Wahrscheinlichkeit nicht, welch abzulehnender Mittel sich Sebastian Kurz und eine Gruppe enger Vertrauter rund um den Ex-Kanzler bedienten, um an die Macht im Lande zu gelangen.

Doch auch jenseits der finanziellen Grundausstattung haben sich in dem – revolutionären Umtrieben eher abgeneigten – Ressort erstaunliche Dinge ereignet: Ein von den Grünen geführtes Justizministerium hat die Drei-Tage-Berichtspflicht abgeschafft, der zufolge Staatsanwaltschaften die jeweils zuständige Oberstaatsanwaltschaft drei Tage im Vorhinein von „bedeutenden Verfahrensschritten“ zu informieren hatten. Diese Praxis führte vermutlich in der Vergangenheit immer wieder dazu, dass Beschuldigte vorab von geplanten Hausdurchsuchungen und anderen Ermittlungsmaßnahmen erfuhren. Und der vormals beinahe allmächtige Sektionschef Christian Pilnacek wurde nicht nur suspendiert, er blieb es auch.



Ein Plus von 250 Prozent!


Wenden wir uns der Umwelt und dem Klimaschutz zu.



Ich denke, diese kleine Grafik ist recht aussagekräftig. Die Regierung erhöht das Klima- und Umweltbudget um nicht weniger als 252,6 Prozent oder 1,7 Milliarden Euro.


Das ist beinahe eine Vervierfachung, und man müsste vermutlich ziemlich lange in den Budgets der letzten Jahrzehnte suchen, um eine ähnlich substanzielle Anhebung in anderen Ressorts zu finden. Was hier geschieht, ist nichts weniger als gewaltig, auch wenn ein großer Teil dieser Summe in den Klimabonus fließt. Die Umweltförderung im Inland wurde um 116 Millionen auf knapp 421 Millionen Euro erhöht, das Kreislaufwirtschaftspaket ist mit 100 Millionen Euro, das Programm „Klimafitte Ortskerne“ mit über 11 Millionen Euro dotiert.

Bis 2025 sollen 735 Millionen Euro ausgeschüttet werden, um Anreize zum ökologisch bedenkenfreien Heizen zu schaffen und die Industrie dazu anzuhalten, die Produktion zu dekarbonisieren, und der Klimabonus schlägt bis zum Ende der Legislaturperiode gar mit insgesamt 5,5 Milliarden Euro zu Buche.

Auf der Ebene der Mobilität ist uns immerhin eine Aufstockung um 200 Millionen Euro (von rund 4,6 Milliarden auf rund 4,8 Milliarden Euro) gelungen. Es ist vorgesehen, bis 2025 430 Millionen Euro in das Klimaticket Regional, 680 Millionen Euro in die Förderung emissionsfreier Mobilität und geradezu unglaubliche 80 Millionen Euro in den Ausbau der Radinfrastruktur zu investieren. Den Vorgängerregierungen war der Radverkehr kaum eine Budgetzeile wert. Auch dieser Bereich zeigt, wie intensiv wir uns darum bemühen, neue Pflöcke in die Haushaltsplanungen zu treiben.

Über die Effekte, die die vor wenigen Tagen präsentierte ökologisch-soziale Steuerreform auslöst, habe ich bereits an anderer Stelle geschrieben. Ich möchte nur nicht unerwähnt lassen, dass dieses Vorhaben – in den Worten des Finanzministeriums, an denen zu zweifeln ich keine Veranlassung sehe – die größte Entlastung für Österreichs Steuerzahler:innen in der Geschichte der Zweiten Republik bedeutet.



In den Konzert- und Theatersälen, in den Galerien, Museen und Ausstellungshäusern des Landes ist längst nicht alles wieder gut. Das ist, denke ich, allen Menschen klar, die sich jemals mit den Lebensrealitäten von Künstler:innen und Kulturarbeiter:innen beschäftigt haben. Deren Situation war schon vor der Pandemie prekär und hat sich während der Lockdowns ein weiteres Mal verschärft. Insofern ist es nur folgerichtig, dass die Regierung die Mittel in Höhe von 60 Millionen Euro, die sie 2021 für Covid-19-Hilfen im Kulturbereich bereitgestellt hatte, nun im Kulturbudget 2022 fest verankert. Davon profitieren nicht nur die Bundestheater und Bundesmuseen, sondern in einem vergleichsweise hohen Ausmaß auch jene Fördernehmer:innen, die wir gemeinhin als „freie Szene“ bezeichnen. Das Kulturbudget beträgt im Jahr 2022 557,1 Millionen Euro. Bevor die Grünen dieses Ressort übernahmen, waren es 466 Millionen Euro. Nur falls demnächst wieder einmal aufgebrachte Kabarettist:innen über die angebliche Kulturvergessenheit der Grünen schwadronieren sollten.

Es stimmt, die Pflegereform lässt noch ein wenig auf sich warten. Doch ich weiß, dass im Gesundheitsministerium mit Hochdruck an diesem hochemotionalen, hochkomplexen, enorm kostspieligen und höchst dringlichen Thema gearbeitet wird, und bin voller Zuversicht, dass Minister Mückstein in naher Zukunft ein ausgewogenes Paket präsentiert, das taugliche Werkzeuge enthält, um den gewaltigen Herausforderungen zu begegnen, die im Bereich Pflege und Altenbetreuung auf uns warten. Kleine bis mittelgroße Zwischenerfolge lassen sich immerhin berichten: 2022–2024 stellt die Regierung 150 Millionen Euro für die Ausbildung zusätzlicher Pflegekräfte und 50 Millionen Euro für die Ausbildung von sogenannten Community Nurses bereit.

Darüber hinaus hat die Regierung die Mittel für Gewalt- und Extremismusprävention sowie für Delogierungsprävention und Wohnungssicherung erhöht. Die Grünen haben erfolgreich darauf gedrängt, den freiwilligen Kernbetrag für die UNHCR-Flüchtlingshilfe zu vervierfachen und 1,1 Millionen Euro für die Errichtung eines SOS-Kinderdorfes auf der griechischen Insel Lesbos zur Verfügung zu stellen. Das Budget für Frauen und Gleichstellung steigt um 5,5 Millionen auf 18,4 Millionen Euro und wird von zahlreichen Initiativen und Maßnahmen in anderen Ressorts (Gewaltschutz, Familienberatung, Kinderschutzzentren etc.) flankiert. Die Regierung erhöht rückwirkend die Schüler:innenbeihilfen für sozial Bedürftige. Sie will den Bezieher:innenkreis von rund 35.000 auf knapp 40.000 Personen erhöhen und dafür zusätzliche 11 Millionen Euro ausgeben. Wer aus all den nun aufgezählten Einzelmaßnahmen keinen gesellschaftlichen Gestaltungsanspruch und keine Handschrift der Grünen erkennt, hat meines Erachtens nicht besonders gut hingeschaut.


Das Schlusswort möchte ich der Wirtschaftswissenschafterin Margit Schratzenstaller vom WIFO überlassen, die gestern im Ö1-Mittagsjournal das Budget analysiert hat. Sie erkennt „Akzente in Richtung Zukunft“, und zwar sowohl „bei den Abgaben als auch bei der Steuerstruktur“. Die ökologisch-soziale Steuerreform biete „Entlastungen für alle Schichten“, wobei sie vorrangig auf den Mittelstand ziele. Die deutlichsten Akzente „sehe ich beim Klimaschutz“, sagt Schratzenstaller und beurteilt es als positiv, dass die CO2-Bepreisung überhaupt kommt, wenngleich sie sich – wie ich – eine etwas ambitioniertere Preisgestaltung gewünscht hätte. Sie betont aber auch, dass gewaltige strukturelle Brocken – Pensionen, Pflege, Föderalismus, Gesundheitssystem, Schulverwaltung – noch vor uns liegen.


Dieser Einschätzung kann ich mich weitgehend anschließen. Und ich meine, wenn selbst eine so kritische Ökonomin wie Margit Schratzenstaller positive Worte für das Budget findet, dann haben wir das eine oder andere richtig gemacht. Es liegt an uns, das Ziel des guten Lebens für alle nie aus den Augen zu verlieren; in jedem Fall ist es eine starke Motivation fürs Drablieba.


PS vom 11.11.: Mittlerweile hat auch der Fiskalrat Austria eine Kurzeinschätzung zur Steuerreform abgegeben, die ich den Leserinnen und Lesern dieses Blogs nicht vorenthalten will. Kurzfassung der Kurzfassung: gar nicht schlecht. Hier das Original: Pressemitteilung des Fiskalrates vom 03.11.


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