Jeff Bezos lässt gern bauen. Die neue Yacht des Amazon-Gründers, stolze 127 Meter lang und damit das größte jemals gebaute Privatschiff, wird von dem Unternehmen Oceanco in einer Werft bei Alblasserdam, südöstlich von Rotterdam, gerade fertiggestellt. Nun führt der Wasserweg von der Werft ins offene Meer über die Nieuwe Maas, die, weil sie das historische Zentrum von Rotterdam vom Stadtteil Feijenoord trennt, von zahlreichen Brücken überspannt wird. Die Koningshaven-Brücke, eine 1927 gebaute, auch De Hef genannte Stahlkonstruktion, ist eine davon. Sie hat eine lichte Höhe von 46,5 Metern, und das ist für Amazon zu wenig. Die Yacht mit dem romantischen Namen Y721 passt nicht unten durch, die Dimensionen der denkmalgeschützten Brücke reichen für Bezos’ gigantischen Schiffsmast einfach nicht aus. Was also tun? Klar: die Brücke demontieren.
„Wer das Gold hat, macht die Regel“, wusste schon Frank Stronach, und ganz offensichtlich steht auch Jeff Bezos auf dem Standpunkt, dass sich mit genügend Geld jedes Problem und jeder Irrtum beheben lassen. Immerhin regt sich bereits ziviler Widerstand gegen die bizarren Pläne, zu denen sich die Rotterdamer Stadtregierung bisher lediglich abwiegelnd geäußert hat. Am 1. Juni soll Bezos’ Yacht mit faulen Eiern beworfen werden: „Rotterdam wurde von den Rotterdamern aus Trümmern gebaut, und wir nehmen die Stadt nicht für das Phallussymbol eines größenwahnsinnigen Milliardärs auseinander“, heißt es in der Beschreibung der Veranstaltung. Mit faulen Eiern auf Schiffe zielen – damit haben ja auch wir in Vorarlberg ein wenig Erfahrung. Wie auch immer: Dass Bezos – wie andere medienaffine Milliardäre auch – auf penisförmige Materialschlachten steht, hat er ja bereits mit seinem Ausflug ins Weltall unter Beweis gestellt. Über die Ästhetik toxischer Männlichkeit lässt sich bekanntlich bestens debattieren.
Amazon ist gerade dabei, ein dicht gewobenes logistisches Netz über ganz Europa auszuwerfen. In Österreich existieren zurzeit drei Verteilzentren, nämlich in Großebersdorf im niederösterreichischen Weinviertel sowie in Wien-Liesing und Wien-Simmering. In Klagenfurt erfolgte unlängst der Spatenstich für ein weiteres Lager, Standorte in Graz-Liebenau und Linz sind in Planung – und natürlich der Standort Dornbirn, der die Vorarberger Kommunal- und Landespolitik noch eine Weile beschäftigen wird.
Worum geht’s in aller Kürze? Amazon, vertreten durch das in Mödling ansässige Immobilienentwicklungsunternehmen Go Asset, hat an der Autobahnanschlussstelle Dornbirn-Nord ein 33.000 Quadratmeter großes Areal gefunden, das offenbar den logistischen und verkehrstechnischen Anforderungen des Konzerns genügt, und plant, hier ein Verteilzentrum zu errichten. Eine grundsätzliche Einigung mit der Eigentümerin des Grundstücks, der Gebrüder Ulmer Holding, scheint vorzuliegen.
Nun haben wir ein Problem. In vielen von uns – und ich nehme mich selbst überhaupt nicht aus – regt sich der Reflex, die Ansiedlung eines multinationalen Konzernriesen wie Amazon in unserem Bundesland schon einmal aus grundsätzlich moralischen Erwägungen abzulehnen. Denn Amazon repräsentiert den großen, bösen Wolf, den Godzilla des Internetgeschäfts, den wir in unserem Garten begreiflicherweise nicht haben wollen. Amazon, das ist irgendwie degoutant. Für eine politische Bewertung der Situation reicht aber das Gefühl das Ekels nicht aus; Gemeinde- und Landespolitik stehen vor der schwierigen Aufgabe, ihre Abneigung gegenüber den Begehrlichkeiten des Giganten aus Seattle mit Argumenten zu fundieren.
Ich denke, wir sollten unsere Einschätzung des Projekts auf zumindest vier unterschiedlichen analytischen Ebenen ansiedeln, die zu trennen leichter gesagt als getan ist: Wir müssen uns mit ökologischen (und verkehrspolitischen), sozialpolitischen, mikro- sowie makroökonomischen Aspekten der Praxis des Konzerns beschäftigen, um unser Nein zu untermauern.
Verkehr und Ökologie in Dornbirn-Nord
Meine Kollegin, die Dornbirner Stadträtin Juliane Alton, hat bereits angemerkt, dass es für das gesamte Betriebsgebiet rund um das von Amazon begehrte Objekt keinen Bebauungsplan gibt.[1] Ein solcher wäre aber dringend nötig, damit die politischen Entscheidungsträger:innen nicht nur mit dem konkreten Anlassfall, sondern auch mit zukünftigen, vermutlich ähnlich gelagerten Fragestellungen verbindlich umzugehen lernen. Juliane Alton regt unter anderem an: ausschließlich unterirdische Stellplätze, verpflichtende Mehrgeschoßigkeit, Photovoltaik in Kombination mit Dachbegrünung und Regenretention, parkähnliche Außenraumgestaltung, Erholungsraum für Angestellte, Baumaterialien aus der Region, Passivhausstandard.
Doch damit ist noch nicht die Frage geklärt, ob auf dem Gelände überhaupt gebaut werden soll. Immerhin handelt es sich dabei um einen der letzten unverbauten Grünkorridore gemäß der Vision-Rheintal-Karte von 2015, auf dem sich Gelbbauchunken, Flussregenpfeifer, Braunkehlchen und Biber aufhalten und eine große Vielfalt an Riedpflanzen gedeiht.
Davon abgesehen darf der Autobahnknoten rund um Dornbirn-Nord und den Achraintunnel schon jetzt mit Fug und Recht als Vorarlberger „Verkehrshölle“ bezeichnet werden. Es staut am Morgen, es staut am Abend, und dazwischen fließt der Verkehr nur zäh. Vom Ski-Tourismus und von den Wintersporttagesgästen am Wochenende fange ich gar nicht erst an. Ausgerechnet dorthin wollen wir ein Logistikzentrum bauen!? Die Transportfahrzeuge von Amazon würden den Achraintunnel, den wichtigsten Flaschenhals in den Bregenzerwald, noch stärker verstopfen, als das jetzt schon der Fall ist, und in Richtung Lauterach sind schon jetzt viel zu viele Autos unterwegs.
Interessanterweise richtet sich auch die parlamentarische Anfrage der SPÖ-Abgeordneten Manuela Auer auf die vermuteten Verkehrsprobleme – und nicht, wie ich angenommen hätte, auf die arbeitsrechtlichen und sozialen Zumutungen, die Amazon weltweit praktiziert. Aber womöglich kommt hier noch ein Nachzieher.
Denn gegen diese verkehrspolitischen Befürchtungen besitzt Amazon ganz gute Argumente, wie uns ein Blick nach Graz zeigt. Auch dort will der Konzern ein Verteilzentrum am Stadtrand mit sehr günstiger Verkehrsanbindung an die Autobahn und an die bevölkerungsreiche Innenstadt errichten. Es hat sich Protest formiert, sowohl die Stadt Graz als auch eine Bürger:inneninitiative berufen gegen die Entscheidung des Landes Steiermark, auf die Umweltverträglichkeitsprüfung zu verzichten. Doch Amazon hat angekündigt, bei der Zustellung der Pakete ausschließlich auf E-Mobilität zu setzen. Das ist nur möglich, weil die Wege von der geplanten Drehscheibe in die Haushalte kurz sind. Würde Amazon nicht in Graz-Liebenau bauen, müsste sich der Konzern wohl in einem großen Logistik-Gebiet rund 25 Kilometer südlich von Graz ansiedeln (auch die Post und DHL haben dort ihre Verteilzentren), von wo aus, heißt es, die Zustellung nur mit herkömmlichen, fossil angetriebenen Fahrzeugen möglich wäre. Die Stadt Graz hat bereits ein Verkehrsgutachten erstellen lassen, das ein zusätzliches Verkehrsaufkommen von rund 800 Transportern pro Tag berechnet hat, von denen keine signifikanten Auswirkungen auf den Gesamtverkehr in Graz ausgehen dürften; auch Umwelt- und Lärmgutachten haben unproblematische Resultate ergeben. Die Anlieferung der am nächsten Tag zuzustellenden Waren (in Liebenau würde ebenso wie in Dornbirn nicht gelagert, sondern nur verteilt) würde nachts an sieben Tagen die Woche erfolgen, in Graz rechnet man mit 14–20 Lkw pro Nacht, zu Ostern und zu Weihnachten vermutlich mehr. Diese Rahmenbedingungen sind – das sagen zähneknirschend selbst Grünen-Politiker:innen in Graz – aus verkehrspolitischer und ökologischer Perspektive kein Riesendrama angesichts des bereits vorhandenen hohen Verkehrsaufkommens.
Beschäftigungspolitik à la Amazon – eine sozialpolitische Notlage
Amazon ist mittlerweile der zweitgrößte Arbeitgeber in den USA, doch die schieren Zahlen sprechen nur scheinbar für die Qualitäten des Konzerns. Für die Menschen, die in Amazons Auslieferungszentralen arbeiten, hat sich vor einigen Jahren der zynische Spitzname „Amazombies“ etabliert, weil viele nur dank Schmerzmitteln, die Amazon in eigens aufgestellten Automaten gratis zur Verfügung stellte, arbeitsfähig bleiben. Auch in Österreich häufen sich Berichte von 12-Stunden-Arbeitstagen, von unbezahlten Überstunden, totaler Überwachung und bizarr anmutenden Bestrafungssystemen, insbesondere in den Sub-Firmen, die Amazon für seine Zustelldienste beschäftigt. Besonders perfide: Wer nie in Krankenstand geht, erhält Bonuszahlungen; manchmal erhalten ganze Teams Boni, wenn über einen bestimmten Zeitraum hinweg kein Teammitglied krank war. Das erhöht die peer pressure, den Gruppendruck, ganz gewaltig, weil begreiflicherweise niemand das schwarze Schaf sein möchte, wegen dessen krankheitsbedingter Abwesenheit das gesamte Team leer ausgeht.
Amazon übt großen Druck auf seine Mitarbeiter:innen aus. Der Konzern hat ein ausgeklügeltes System zur Verbesserung beziehungsweise Kündigung von Beschäftigten etabliert, die als leistungsschwach gelten. Sobald ein:e Manager:in eine:n Angestellte:n als Schwachpunkt identifiziert, landet er oder sie in einem Coaching-Programm namens „Focus“. Wer sich dort nicht bewährt, wird in ein anderes Programm namens „Pivot“ versetzt und steht bald einer firmeninternen Jury gegenüber, die das Schicksal der Betroffenen in Händen hält. Offenbar hält Amazon an dem Prinzip fest, Jahr für Jahr einen bestimmten Prozentsatz an Arbeitnehmer:innen loszuwerden. Man hat diesem Mechanismus sogar einen eigenen Terminus gegeben: “unregretted attrition” – „unbedauerter Verschleiß“.
Es erübrigt sich beinahe zu sagen, dass Amazon in den USA die Bildung von Gewerkschaften behindert. Die deutsche Gewerkschaft ver.di liegt seit 2014 im Dauerstreit mit Amazon, weil der Konzern die tarifliche Absicherung seiner Arbeitnehmer:innen mittels Kollektivverträgen (in Deutschland sagen sie Tarifverträge dazu) verweigert. Immerhin gibt es in den deutschen Amazon-Betriebsstätten seit 2014 Betriebsräte.
Schlecht bezahlt, überwacht, unter Druck, nicht wertgeschätzt – ein Arbeitsklima der Ausbeutung. Arbeitsbedingungen dieser Art kann in Vorarlberg niemand ernsthaft herstellen wollen. In Graz geht man übrigens davon aus, dass in dem Liebenauer Verteilzentrum rund 160 Menschen Beschäftigung finden werden, darin sind die Zusteller:innen nicht inkludiert.
Der Tod des Einzelhandels
Die Post in ihrer Eigenschaft als Platzhirsch des Zustelldiensts schlägt Alarm: Der Vorarlberger Postgewerkschafter Franz Mähr gab in der Neuen zu Protokoll, er habe „aus Insiderkreisen gehört“, Amazon plane, „von Vorarlberg aus in den süddeutschen Raum und ins Tiroler Oberland zu liefern, von Touren in die Schweiz sei ebenfalls die Rede. Mähr spricht von 400 Lieferfahrzeugen.“[2] Man muss betonen, dass das unbestätigte Informationen sind. Die Stadt Dornbirn gab an, sie habe vom Projektwerber erfahren, dass nur innerhalb von Vorarlberg ausgeliefert werden solle.[3]
Doch wie auch immer: Die Befürchtungen der Post sind legitim, unabhängig davon, ob der ehemalige Staatsbetrieb sich lediglich um sein eigenes Geschäft sorgt, ob ihm die prognostizierte Verkehrsbelastung aus ökologischen Gründen widerstrebt oder ob er einen Preiskampf fürchtet, der sich generell negativ auf die Löhne der Zuliefer:innen auswirkt.
Der Buchhandel liegt bereits im Sterben – Ausnahmen wie die kürzlich in Dornbirn eröffnete Buchhandlung bestätigen, fürchte ich, die Regel –, und tatsächlich läuft Amazons Unternehmenspolitik auf die Vernichtung des gesamten Einzelhandels hinaus. Bei Amazon gibt es alles zu kaufen, selbst regional hergestellte Produkte – aber eben nur zu den Bedingungen von Amazon: Wer über Amazons „Marktplatz“ verkaufen will, entrichtet dafür eine Gebühr, die sich zwischen sechs und 15 % des Verkaufspreises bewegt – eine Art Privatsteuer also, die der Konzern hier einhebt. Wer sich diesem Regelwerk und seinen Knebelparagrafen entgegenstellt, geht unweigerlich unter – nur wenige schaffen es, in einzelnen Nischen dagegenzuhalten, vielleicht auch deshalb, weil der Scheinwerfer von Amazon sie noch nicht erfasst hat.
Nun lässt sich argumentieren, dass dieser Befund wohl stimme, dass die Errichtung eines Verteilzentrums in Dornbirn auf diese Dynamik aber keinen Einfluss habe, weil es den Menschen, die bei Amazon bestellen, ja völlig gleichgültig sei, von wo das gewünschte Produkt geliefert wird. Hauptsache, es ist am nächsten Tag im Postkasten. Doch ein solches Argument übersieht, dass das Dornbirner Verteilzentrum an einem der verkehrsreichsten Punkte Vorarlbergs errichtet und schon allein aufgrund seiner Existenz, seiner Betriebsamkeit, seiner Beleuchtung und seiner Firmenschilder ein weithin sichtbares, in Geld kaum aufzuwiegendes Werbesymbol darstellen würde, das in die Köpfe der Pendler:innen eindringt und schließlich die Wörter „Einkaufen“ und „Amazon“ zu Synonymen werden lässt.
Global Players
Das bringt mich zum letzten Punkt meines langen Arguments. Amazon hat 2020 einen weltweiten Umsatz von 386,1 Milliarden US$ erzielt. Diese Marktmacht erdrückt alle anderen Marktteilnehmer:innen. Jeff Bezos besaß Anfang März 2020 rund 113 Milliarden US$, im Juli desselben Jahres bereits 182,6 Milliarden US$. Er ist der mit Abstand größte Profiteur der Corona-Pandemie. Kein Wunder, dass ihm die vorübergehende Demontage einer Brücke in Rotterdam keine schlaflosen Nächte bereitet.
Amazon versucht so aggressiv wie kaum ein anderes Unternehmen Einfluss auf die Gesetzgebung in den USA zu nehmen: „Amazon lobbyierte gegen die Umsatzsteuer, die das Unternehmen bei einem Großteil der Verkäufe von Drittanbietern noch immer nicht berechnete, obwohl diese inzwischen mehr als die Hälfte seines US-Einzelhandelsgeschäfts ausmachten. Es lobbyierte gegen die Regulierung von Drohnen, von denen es hoffte, sie zum Ausliefern von Paketen einzusetzen. Es lobbyierte, um bei der amerikanischen Post die vergünstigten Zustellpreise zu behalten. Es lobbyierte bei der Auftragsvergabe der Regierung, weil es hoffte, zentrale Anlaufstation bei allen Anschaffungen des Bundes zu werden. Amazon lobbyierte gegen jede Bemühung, das Unternehmen vom Kartellamt prüfen zu lassen.“[4] Es ist nicht zu erwarten, dass Amazon in Europa zurückhaltender agieren würde. Doch Jeff Bezos selbst macht sich die Finger nicht schmutzig; er schießt lieber 90-jährige Schauspieler ins Weltall (wobei ich William Shatner den Ausflug gönne). Amazon beschäftigt Legionen von Lobbyist:innen und Scharen von Subunternehmen, wie die erwähnten Immobilienentwickler von Go Asset, die bar jeglicher persönlicher Betroffenheit quasi automatenhaft die Vorgaben der Konzernzentrale in Seattle umsetzen. Repräsentant:innen von Amazon selbst sind in Dornbirn bisher noch nicht in Erscheinung getreten.
Aber klar ist auch: Wir müssen uns schon auch selbst bei der Nase nehmen und unser Konsumverhalten ändern. Wer eifrig bei Amazon kauft, dessen Krokodilstränen hinsichtlich der Arbeitsbedingungen der zumeist selbständig tätigen Zusteller:innen kann ich politisch nicht so recht ernst nehmen. Wer nicht länger als zwei Tage warten möchte, bis er oder sie das gewünschte Buch oder Parfum oder was weiß ich in Händen hält, weil er oder sie verlernt hat, das Wort Bedürfnisaufschub zu buchstabieren, kann nun nur im Rahmen heftiger kognitiver Dissonanz gegen die Logistikpläne von Amazon protestieren. Das sollten wir bedenken. Amazon betrifft uns alle.
[1] Vorarlberger Nachrichten, 14.01.2022. [2] Neue Vorarlberger Tageszeitung, 29.01.2022. [3] Ebd. [4] Alec MacGillis: Ausgeliefert. Amerika im Griff von Amazon. Frankfurt: Fischer 2021, S. 109.
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