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"Es gibt Krisenzeiten, in denen nur das Utopische realistisch ist."
(George Steiner)
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Johannes Rauch

Einige Gedanken zur Steuerreform


Jetzt haben wir es also getan. Binnen weniger Tage die rechte und die linke Herzkammer der Grünen Regierungsbeteiligung präsentiert: das Klimaticket und die ökosoziale Steuerreform.

Wir haben konkrete Pläne mit konkreten Zahlen und konkreten Auswirkungen vorgelegt, an denen wir uns nun messen lassen. Wir haben nicht, wie wir es in drei Jahrzehnten Opposition gelernt haben, die Regierung aufgefordert zu handeln, sondern wir haben gehandelt. Vor allem aber haben wir verhandelt, nämlich mit unserem Koalitionspartner.

Reden wir über die ökosoziale Steuerreform: Selbstverständlich lässt das Resultat viele Unzufriedene zurück. Wie könnte es auch anders sein!? Hier die Erwartung des ökologischen Paukenschlags, da die Betonung des sozialen Augenmaßes der Reformen, und dort die Hoffnung auf ökonomische Unbedenklichkeit der steuerlichen Eingriffe. Genauso wie Archimedes und viele Mathematiker:innen nach ihm wissen wir, dass die Quadratur des Kreises eine unmöglich zu lösende Aufgabe ist – doch wir haben uns bemüht, in der Formulierung unseres Reformvorhabens zumindest alle drei Perspektiven zu berücksichtigen und uns so einem Ergebnis anzunähern, das Akzente setzt, ohne den einen oder den anderen Standpunkt völlig zu vernachlässigen. Uns war dabei klar, dass der Jubel aus den einzelnen Ecken des riesigen Gemüsebeets, das wir da beackert haben, verhalten ausfallen würde.



Ein Preis für das Treibhausgas


Aber blicken wir doch ein bisschen näher hin. Ab dem 1. Juni nächsten Jahres wird eine Tonne CO2 30 Euro kosten, dann heben wir den Preis bis 2025 schrittweise auf 55 Euro an. An einer solchen Maßnahme wäre, mit Verlaub, jede Regierung der Zweiten Republik gescheitert, wenn sie sich denn überhaupt dafür interessiert hätte. Treibhausgas erhält nun endlich einen Preis. Jeder Beitrag zur globalen Erwärmung lässt sich nun in Euro ausdrücken – das ist eine epochale Errungenschaft, die in Österreich ihresgleichen sucht. Könnte der Preis nicht höher sein? Na klar; ich selbst habe mich für einen Betrag zwischen 50 und 120 Euro ausgesprochen. Aber ich kann die Position nachvollziehen, dass wir mit einem eher niedrigen Einstiegspreis den Haushalten und den Unternehmen die Möglichkeit einräumen, ihre Energieversorgung und ihre Produktionsprozesse innerhalb eines recht engen Zeitfensters an die neuen steuerlichen Rahmenbedingungen anzupassen. Im Übrigen wird der CO2-Preis mit den Kursen auf den Energiemärkten korrespondieren. Sollte Energie aus welchen Gründen auch immer in nächster Zeit billiger werden, würde die CO2-Bepreisung erhöht.

Daraus folgt unter anderem, dass Benzin in Hinkunft um rund 6,6 Cent pro Liter, Diesel um rund 7,5 Cent pro Liter teurer wird.

Das sind schlechte Nachrichten für Menschen, die viel mit dem Auto unterwegs sind bzw. unterwegs sein müssen. Aus diesem Grund haben wir den sogenannten Klimabonus eingeführt, mit dem wir die Belastungen für Einzelpersonen und Familien, die durch die CO2-Bepreisung entstehen, dämpfen wollen. Und weil es nun einmal einen verkehrsrelevanten Unterschied macht, ob jemand im Zentrum von Dornbirn oder in Gargellen lebt, tritt zum Klimabonus der sogenannte Regionalausgleich hinzu, der, gestaffelt in drei Kategorien, an Menschen ausbezahlt wird, die abseits der urbanen Zentren wohnen. Damit wollen wir Pendler:innen unterstützen, die in Gegenden wohnen, die das öffentliche Verkehrsnetz bisher nur unzureichend erfasst, und die daher auf ihr Auto angewiesen sind. Ja, auch wohlbestallte Villenbesitzer:innen aus der Hinterbrühl bei Wien, die täglich mit ihren SUVs in ihre Wiener Innenstadtbüros fahren, erhalten den Regionalausgleich. Doch es wird ihnen nur dann etwas davon bleiben, wenn sie ihr Mobilitätsverhalten ändern. Tun sie das nicht, landet der Klimabonus im Tank.

Diese Unschärfe haben wir zugunsten der Übersichtlichkeit der Maßnahme in Kauf genommen. Außerdem sind wir mit dieser Reform ja nicht am Ende der Regierungsarbeit angekommen. Die Grünen arbeiten weiterhin mit Hochdruck daran, die soziale und ökologische Treffsicherheit der Pendlerpauschale zu erhöhen, wie es ja auch im Regierungsprogramm vereinbart wurde.



Klimaschädliches Heizen – das Ausstiegsszenario


Ja, Heizöl und Erdgas werden teurer, und zwar um rund 7,8 Cent pro Liter bzw. 6 Cent pro Kubikmeter. Das stellt, da müssen wir nichts schönreden, eine Zumutung für Mieter:innen dar, die keinen Einfluss darauf haben, welches Heizsystem der Vermieter:innen installiert hat. Rund ein Viertel der Haushalte in Österreich wird mit Erdgas, etwa ein Achtel mit Öl beheizt. Doch genau aus diesem Grund haben die Grünen Verhandler:innen so vehement darauf gedrängt, dass der Klimabonus tatsächlich an alle ausbezahlt wird, denn heizen muss jede und jeder. Außerdem sieht die Steuerreform in diesem Bereich eine Erhöhung der Förderung für den Ausstieg aus Öl und Gas vor: nicht weniger als 500 Millionen Euro sind für sauberes Heizen reserviert. Es ist daher nicht nur ökologisch sinnvoll, sondern es dürfte auch rentabel werden, auf alternative Wärmeversorgung umzusteigen. Bis 2035 bzw. 2040 sollen Heizformen, die auf fossilen Energieträgern beruhen, ohnehin ihr natürliches Ende finden. Insofern sind Vermieter:innen gut beraten, schon jetzt, da die Regierung großzügige Förderungen zur Verfügung stellt, umzusteigen.

Wir erleben ja gerade, mit welcher Vehemenz Gazprom und Co. an der Preisschraube drehen, um Druck hinsichtlich der Umsetzung gewünschter Pipelineprojekte zu erzeugen und den Markt weiter zu monopolisieren. Angesichts dieser Zustände können wir nur zu dem Schluss gelangen, dass wir diese fatale energiepolitische Abhängigkeit schleunigst überwinden müssen.



Das „Sozial“ in „Ökosozial“


Wir sollten aber auch die finanziellen Leistungen nicht unerwähnt lassen, die insbesondere Geringverdiener:innen unterstützen sollen. Im Rahmen der ökosozialen Steuerreform wird der Kinderbonus für geringverdienende Alleinerzieher:innen und Familien erhöht, und Schritt für Schritt senken wir die Tarifstufen bei der Einkommensteuer, beginnend mit der zweiten Stufe, die Einkommen bis zu einer Höhe von rund 2.600 Euro im Monat umfasst. Außerdem hat die Regierung die Krankenversicherungsbeiträge von Menschen mit geringen Einkommen gesenkt, so dass diese Personengruppe mit bis zu 200 Euro pro Jahr entlastet wird; die entfallenden Einnahmen, das nur nebenbei, werden den Sozialversicherungen selbstverständlich ersetzt. Wir haben vehement dafür gestritten, dass die Menschen am untersten Ende der existenziellen Absicherung nicht von diesen Ausgleichszahlungen abgeschnitten werden.



Wird das genug sein? Vielleicht.


Ganz ehrlich, es fällt mir ein bisschen schwer, die ostentative Empörung der SPÖ ernst zu nehmen. Klar, es gehört zur Profilierung als Oppositionspartei, mehr oder weniger alles, was die Regierung beschließt, für unzulänglich, fehlerhaft, falsch, unausgegoren und defizitär zu halten. Geschenkt. Aber es sei mir doch der Hinweis erlaubt, dass die ehemalige Kanzlerpartei SPÖ auch in sozialpolitischer Hinsicht erst die Zustände herstellte, gegen die die jetzige Regierung – und, nennen wir das Kind beim Namen: hauptsächlich die Grünen – nun ansteuert. Sicher, eine Senkung der Krankenversicherungsbeiträge um, sagen wir, 2,5 oder 3,4 % hätte die Geringverdiener:innen noch stärker entlastet. Doch auf der anderen Seite der Gleichung steht nicht nur die Finanzierbarkeit des Gesundheitssystems, sondern eine mit satter relativer Mehrheit ausgestattete ÖVP, die unsere Verhandler:innen erst einmal davon überzeugen mussten, dass Steuersenkungen allein ein untaugliches Rädchen sind, wenn es darum geht, jene Menschen zu entlasten, die ohnehin bereits unter existenziellen finanziellen Nöten leiden.

Und wie schon weiter oben gesagt, halte ich den nun beschlossenen CO2-Preis für zu niedrig. Aber der zentrale Punkt ist doch, dass wir das Spielfeld verändert haben. Treibhausgas hat nun einen Preis. Das Steuersystem erhält ein völlig neues Element, eine Schraube, an der, wie Andreas Koller in den Salzburger Nachrichten ganz richtig geschrieben hat, „künftige Regierungen und künftige Generationen drehen können, um im Wortsinne steuernd ins ökologische und klimatische Geschehen einzugreifen“.

Deshalb würde ich dem allgemeinen Aufstöhnen gern eine Prise Optimismus beimischen. Blicken wir kurz zurück. Vor der Nationalratswahl 2019 hätten wir uns auch mit sehr viel Phantasie kaum ausmalen können, was die Grünen binnen zweier Jahre auf den Weg bringen würden: das Erneuerbaren-Ausbau-Gesetz, die Klimaneutralität ab 2040, das Klimaticket, und nun die ökosoziale Steuerreform. Der Klimaschutz hat sich zum stärksten Erzählstrang dieser Regierung entwickelt. Wer, Hand aufs Herz, hätte das im Sommer 2019 für möglich gehalten!? Das alles ist uns gelungen, während die Corona-Pandemie den Großteil unserer Aufmerksamkeit gefordert hat, und es ist noch nicht einmal der Halbzeitpfiff für diese Legislaturperiode ertönt.


Im Ernst, diese Zwischenbilanz erfüllt mich mit Zuversicht.

Eine Geschichtsbetrachtung aus der Provinz



„Der Doppelbeschluss sah die Stationierung der atomar bestückten US-amerikanischen Mittelstreckenraketen Pershing II und Marschflugkörper BGM-109G Cruise Missile in fünf NATO-Staaten Westeuropas als Antwort auf die Stationierung der neuen sowjetischen SS 20-Raketen vor“ – sagt trocken Wikipedia.


Für uns friedensbewegte Junge sind die späten 1970er und frühen 1980er Jahre natürlich mehr. Im Oktober 1983 protestieren allein in Berlin mehr als 500.000 Menschen gegen die Stationierung neuer Atomraketen in Mitteleuropa.

In der damaligen UdSSR gelangt Michail Gorbatschow an die Macht und verspricht Glasnost und Perestroika, in Wackersdorf wird eine Wiederaufbereitungsanlage für abgebrannte Atombrennstäbe aus Kernkraftwerken geplant, der Protest dagegen mit Tränengas und Gummiknüppeln brutal niedergemacht. Ikone des Widerstandes ist schon damals Hildegard Breiner, die mehr als ein Dutzend Mal am Bauzaun in Wackersdorf steht.


In der Vorarlberger Provinz sind es die Anti-AKW- und Friedensbewegten, die früh den Widerstand gegen die geplante Bodenseeschnellstraße S 18 anführen. Auch hier: Hildegard Breiner mit dabei an vorderster Front, immer mit ihrem berühmten Transparent mit dem ebenso berühmten Kant-Zitat: „Habe Mut, dich deines eigenen Verstandes zu bedienen!“


Einschub: Der Widerstand von Hildegard Breiner gegen die Atomkraft passte den Regierenden hierzulande schon immer ins Konzept. Da war man ja selber „Anti“. Ihre ebenso klare Widerstandshaltung gegen andere Unsinnigkeiten, wie beispielsweise einen Kiesabbau an der Kanisfluh, den verschwenderischen Umgang mit der Landesgrünzone oder eben ihr konsequenter Einsatz gegen eine Schnellstraße durchs Naturschutzgebiet wurden da schon weniger gern gesehen.



Irgendwann Mitte der 1980er Jahre riefen die Vorarlberger Nachrichten zu einem Wettbewerb auf, an dem sich die Leserinnen und Leser beteiligen konnten. Es ging darum, die Frage „Was wäre…, wenn es die VN nicht gäbe?“ mit einer möglichst kreativen Antwort zu versehen. Ich habe mich damals aus Spaß an der Freud’ mit gleich mehreren Einsendungen daran beteiligt, unter anderem in Verknüpfung der S 18 mit dem NATO-Doppelbeschluss, mit der Ergänzung:


„Dann hieltest du die S 18 für eine Mittelstreckenrakete, lieber Michail!“


Das war den VN gut genug für den Hauptpreis, immerhin 10.000 Schilling, die ich prompt in ein neues Rennrad investierte.


Weltpolitisch folgten turbulente Zeiten. Die Sowjetunion fiel auseinander, 1989 fielen die Berliner Mauer und der Eiserne Vorhang, im April 1986 explodierte das Atomkraftwerk Tschernobyl, mit verheerenden Folgen bis heute. In Vorarlberg wurden seither die Rheintalautobahn und die Schiene zwischen Bregenz und Bludenz durchgehend vierspurig ausgebaut, der Güterbahnhof Wolfurt neu errichtet, Meilensteine im öffentlichen Verkehr gesetzt. Das Land wurde modernisiert, die Kinderbetreuung ausgebaut und, was denkunmöglich schien, selbst die absolute Mehrheit der ÖVP wurde gebrochen.

Ungebrochen blieb das Festhalten an der Bodenseeschnellstraße S 18.




Vergangenheit


In der langen Geschichte der S 18 haben seit 1980 vier Landeshauptmänner und sieben Verkehrslandesräte versprochen, dass der Bau unmittelbar bevorstehe und „in den nächsten Jahren“ vollendet werden könne. Argumentiert wurde das 1,5-Milliarden-Projekt stets mit der „Entlastung der staugeplagten Bevölkerung“ und der notwendigen Verbindung der Autobahnen auf Schweizer und Österreichischer Seite (N13 und A14). Beides ist bis heute richtig, beides sind nunmehr seit Jahrzehnten uneingelöste Versprechungen.

Gescheitert ist die S18 bis heute an der fehlenden Einsicht, dass es unter Inkaufnahme horrender Kosten zwar technisch möglich ist, eine Straße dieser Dimension mit Brücken- und Tunnelbauwerken gigantischen Ausmaßes durch eine Riedlandschaft mit im wahrsten Sinn des Wortes „grundlosen“ Bodenverhältnissen zu bauen, aber die naturschutzrechtliche Genehmigungsfähigkeit nach Vorarlberger, österreichischem und europäischem Recht, vorsichtig ausgedrückt, höchst fragwürdig ist.



Zukunft


Während die Schweiz das Projekt cargo sous terrain vorantreibt, die Europäische Kommission den Güterverkehr auf der Schiene revolutionieren will, die gesamte deutsche Automobilbranche aus der Produktion von Verbrennungsmotoren aussteigt, renommierte Forschungseinrichtungen wie das Fraunhofer Institut oder das Joanneum neue Lösungen aufzeigen und „mobility as a service“ längst zum Wirtschaftszweig wird, darf in Österreich offenbar nicht einmal darüber nachgedacht werden, ob denn das alles, was in der Vergangenheit so geplant wurde an Straßenbauen, nicht noch einmal näher unter die Lupe genommen werden soll. Tut eine Ministerin das doch, folgt augenblicklich ein shitstorm biblischen Ausmaßes.



Und nein, „Klimaschutz“ und „Klimawandelanpassung“ sind bisher noch gar nicht vorgekommen. Auch der Hinweis, dass nach der Investition von 37 Milliarden Euro (österreichweit) zur Bekämpfung der Covid-19-Pandemie das kaufmännische Prinzip der Sparsamkeit, Wirtschaftlichkeit und Zweckmäßigkeit mehr denn je eine Selbstverständlichkeit sein müsste.


Es würde genügen, ganz im Sinne Hildegard Breiners, „sich seines eigenen Verstandes zu bedienen“, um zu erkennen, dass im Lichte der nur andeutungsweise skizzierten Entwicklungen und einer mehr als vierzigjährigen Geschichte grandiosen Scheiterns JEDE Lösung besser ist als die CP-Variante der S 18. Den Menschen, namentlich in Lustenau, diese als letzte Option und letzte Rettung zu verkaufen, ist gelinde gesagt frivol, wenn man weiß – und die Verkäufer wissen das ganz genau! –, dass ein Baubeginn bestenfalls in zehn und eine Fertigstellung bestenfalls in zwanzig Jahren möglich sein wird.

An einem Projekt aus der Steinzeit der Verkehrspolitik festzuhalten, ist dermaßen zukunftsvergessen und innovationsbefreit, dass man meinen könnte, die Zeit wäre stehengeblieben.


Im Lichte dessen ist dieser von ÖVP, Grünen, SPÖ und NEOS im österreichischen Nationalrat gefasste Beschluss nicht nur sinnvoll, sondern geradezu notwendig – (auch wenn der amtierende Bundeskanzler nichts davon wissen will)




Quelle: VN vom 22.7.2021


(Der Koalitonspakt sieht diesbezüglich überhaupt nichts vor, aber das sei dem Fragesteller verziehen.)

Der Beschlusstext im Wortlaut:

Seit Jahrzehnten ist bekannt, dass die Verkehrssituation des Rheintals besonders angespannt ist. Aus diesem Grund gab es in den vergangenen Jahren verschiedene Ansätze die Situation zu verbessern. Unter anderem wurde und wird der öffentliche Verkehr weiter ausgebaut. Ziel muss eine möglichst zeitnahe Entlastung für die vor allem vom Transitverkehr besonders betroffenen Gemeinden wie Lustenau sein. Da derzeit bis September eine Evaluierung des ASFINAG-Bauprogrammes seitens des BMK stattfindet, sollte dabei auch unter anderem die mögliche Verbindung auf der Höhe Hohenems-Diepoldsau-Widnau/Balgach wie im Agglomerationsprogramm Rheintal vorgesehen, berücksichtigt werden. Auch soll auf die neu vorliegende bautechnische Machbarkeitsstudie des Tiefbauamtes des Kantons St.Gallen einer Tunnelverbindung „DHAMK“, die eine Verbindung der A14 und der Schweizer A13 vorsieht, bei der Evaluierung eingegangen werden. Die wesentlichen Ziele sollten die zeitnahe Entlastung der besonders vom Verkehr betroffenen Menschen, die Erreichung der Klimaneutralität Österreichs bis 2040 und die Erhöhung der Verkehrssicherheit sein. Dabei sollten Realisierungszeitraum, Realisierungswahrscheinlichkeit, Bodenverbrauch und Flächenversiegelung berücksichtigt werden. Die konkreten Schritte dazu sollen unter Einbeziehung der regional Verantwortlichen und der Vorarlberger Landesregierung umgesetzt werden. Der Nationalrat wolle beschließen: Die zuständige Bundesministerin Leonore Gewessler wird ersucht im Rahmen der von ihr angekündigten Evaluierung des Straßenbauprogrammes der ASFINAG hinsichtlich der S 18 wie folgt vorzugehen: Ziel ist eine möglichst rasche Lösung für die vom LKW-Transitverkehr betroffenen Ortsdurchfahrten (wie zB Lustenau) zu finden. Dabei ist die notwendige Verbindung der A14 mit der Schweizer N 13 unter Berücksichtigung einer möglichen Verbindung auf der Höhe Hohenems - Diepoldsau - Widnau/Balgach (siehe Agglomerationsprogramm Rheintal, S. 80) zu prüfen.



Das hysterische Gezeter dagegen ist entbehrlich. Dass der Wiener Boulevard es nüchterner auf den Punkt bringt als die „Vorarlberger Landeszeitung“ (© Stefan Kappacher, Ö1) wäre Grund genug, einen neuen Wettbewerb unter der Leser:innenschaft auszurufen. Dessen Titel könnte sein: „Was wäre, wenn uns niemand daran hindern würde, klüger zu werden?“


Ich würde mitmachen.








Johannes Rauch


Wer von uns Grünen hat in den vergangenen Monaten nicht schon laut geflucht über Sebastian Kurz, Gernot Blümel und die Tatsache, dass wir „mit denen“ in einer Koalition sind? Eben.


Aber ich denke, es ist wichtig, die Frage der persönlichen Sympathie zu trennen von den juristischen Vorwürfen, mit denen sich der Bundeskanzler seit einigen Tagen konfrontiert sieht.


Worum geht es also?

Sebastian Kurz hat, behauptet die Wirtschafts- und Korruptionsstaatsanwaltschaft (WKStA), als Auskunftsperson im Ibiza-Untersuchungsausschuss in mehreren Fällen das Delikt „Falsche Beweisaussage“ (§ 288 StGB) begangen. Die Behörde leitet diesen Vorwurf aus den inhaltlichen Unterschieden zwischen Kurz’ Antworten im U-Ausschuss und seinen WhatsApp-Konversationen mit diversen Leuten ab und begründet die Aufnahme von Ermittlungen gegen Kurz sehr umfangreich und gründlich. Die Höchststrafe bei einem Vergehen nach § 288 StGB beträgt drei Jahre – und ein Vergehen, nur um das klarzustellen, ist kein Verbrechen.[1] Niemand wirft dem Kanzler ein Verbrechen vor.


Sebastian Kurz ist im Moment Beschuldigter in einem Strafverfahren. Es wird ihm also ein konkretes Delikt vorgeworfen; er ist nicht bloß ein Verdächtiger (bei dem überhaupt noch nicht klar sein muss, worin genau der Vorwurf besteht), aber er ist auch (noch; Kurz scheint von einer Anklage auszugehen, die Expert*innen sind wie so oft gespaltener Meinung) kein Angeklagter. Wir müssen damit rechnen, dass sich das Verfahren noch über mehrere Monate hinzieht, und das scheinbar schleppende Tempo hat seine guten Gründe.


Wie geht es weiter?

Jeder Beschuldigte hat ein Recht darauf, gehört zu werden. Die WKStA muss den Kanzler einvernehmen oder ihn zu einer schriftlichen Stellungnahme auffordern. Würde sie dies unterlassen und dennoch einen Strafantrag einbringen (also Anklage erheben), müsste der zuständige Einzelrichter den Antrag zurückweisen. Es ist also schon aus verfahrensrechtlichen Gründen ausgeschlossen, dass ein Strafantrag ohne vorherige Einvernahme des Beschuldigten eingebracht wird, auch wenn dies türkise Parteigänger*innen verschiedentlich behauptet haben.


Alle Staatsanwaltschaften, auch die WKStA, haben „über Strafsachen, an denen wegen der Bedeutung der aufzuklärenden Straftat oder der Funktion des Verdächtigen im öffentlichen Leben ein besonderes öffentliches Interesse besteht“ (§ 8 Abs 1 Staatsanwaltschaftsgesetz), der jeweils übergeordneten Oberstaatsanwaltschaft zu berichten. In diesem Vorhabensbericht hat die Staatsanwaltschaft darzustellen, wie sie weiter vorgehen will – ob sie also beabsichtigt, das Verfahren einzustellen, weiter zu ermitteln oder Anklage zu erheben bzw. einen Strafantrag einzubringen. Dabei ist die Behörde nicht völlig frei in ihrem Ermessen, es gilt vielmehr das Kriterium der Eintrittswahrscheinlichkeit: Ist eine Verurteilung wahrscheinlicher als ein Freispruch, muss die Staatsanwaltschaft Anklage erheben.


Die Oberstaatsanwaltschaft äußert sich zum Vorhabensbericht und leitet diesen an die Sektion V im Justizministerium (dieser Sektion stand, dies nur nebenbei, bis vor Kurzem der mittlerweile suspendierte Christian Pilnacek vor) weiter. Auch die Sektion V gibt eine Stellungnahme ab und übermittelt den Vorhabensbericht sodann an den Beirat für den ministeriellen Weisungsbereich (kurz Weisungsrat), der unter anderem immer dann eingeschaltet werden muss, wenn es sich „um Strafsachen gegen oberste Organe der Vollziehung (Art 19 B-VG: Bundespräsident, Bundesminister, Staatssekretäre und Mitglieder der Landesregierungen)“ handelt.[2] Der Weisungsrat ist organisatorisch an die Generalprokuratur angebunden und steht unter dem Vorsitz des Generalprokurators.


Das Gremium gibt eine Empfehlung an die Justizministerin ab, die am Ende dieses langen Prozesses die Entscheidung über den weiteren Verlauf des Verfahrens gegen Sebastian Kurz zu treffen hat. Es ist allerdings politisch nicht vorstellbar, dass Alma Zadic der Empfehlung des Weisungsrates zuwiderhandeln würde.


Vorsatz und Unschuldsvermutung

Es ist schwierig, den Vorsatz einer falschen Beweisaussage nachzuweisen, da der oder die Angeklagte, konfrontiert mit der faktischen Unwahrheit einer Aussage, jederzeit behaupten kann, sich eben geirrt zu haben. Freisprüche sind also in Verfahren nach § 288 StGB eher die Regel als die Ausnahme. Dazu kommt im Fall Kurz, dass die WKStA ihre Vorwürfe der falschen Beweisaussage unter anderem aus doppelten Verneinungen herleitet. Diese rhetorische Figur bietet aber immer Spielraum für Interpretationen. Denn nur weil ich nicht sage, dass etwas nicht so ist, bedeutet das nicht, dass ich sage, dass etwas so ist.

Wie für alle der österreichischen Justiz unterworfenen Menschen gilt auch für Sebastian Kurz die Unschuldsvermutung, und zwar bis zu einer allfälligen rechtskräftigen Verurteilung. Selbst ein erstinstanzliches Urteil ändert daran nichts – dies ist in der Kommunikation streng zu beachten. Würde irgendjemand Sebastian Kurz nach einem erstinstanzlichen Urteil als „schuldig“ bezeichnen, drohte ihm oder ihr ein medienrechtliches Verfahren. (Siehe dazu auch: https://www.derstandard.at/story/2000126707391/causa-kurz-anklage-und-anstand)


Und was heißt das jetzt politisch?

Seit die Grünen ins Justizministerium eingezogen sind, werden Ermittlungen gegen hochrangige Politiker*innen nicht mehr „daschlog’n“, wie der Vizekanzler mit Bezug auf den ehemaligen Sektionschef Christian Pilnacek zu sagen pflegt.[3] Die Politik mischt sich nicht ein und dreht potenziell heikle Verfahren nicht mehr ab. Werner Kogler hat als Justizministerin-Stellvertreter die Drei-Tage-Berichtspflicht abgeschafft, der zufolge Staatsanwaltschaften die jeweils zuständige Oberstaatsanwaltschaft drei Tage im Vorhinein von „bedeutenden Verfahrensschritten“ zu informieren hatten. Alma Zadić hat Pilnacek und Johann Fuchs von ihren Posten abgezogen. All diese Maßnahmen haben den – in der Vergangenheit immer wieder aufgetretenen – Verrat von Ermittlungsschritten an die Beschuldigten drastisch erschwert, wenngleich nicht gänzlich unmöglich gemacht, wie aus der Hausdurchsuchung bei Gernot Blümel ersichtlich wurde.


Doch wir Grünen, allen voran Justizministerin Alma Zadić, schützen die Unabhängigkeit der Justiz und sorgen dafür, dass die Ermittlungsbehörden ungestört arbeiten können. Niemand, auch nicht die Ministerin selbst, wird sich in laufende Verfahren einmischen oder diese kommentieren. Schlimm genug, dass wir eine solche rechtsstaatliche Selbstverständlichkeit eigens erwähnen müssen.


Im Übrigen war es Alma Zadić, die den „stillen Tod der Justiz“ (Clemens Jabloner) verhindert hat. Sie hat erreicht, dass das Justizbudget um 165 Millionen € erhöht wurde, 255 neue Planstellen geschaffen, das Informationsfreiheitsgesetz – und mit ihm die Abschaffung des Amtsgeheimnisses – auf den Weg gebracht, die Gewaltenteilung in der inneren Organisation ihres Ministeriums wiederhergestellt und die Bundesbetreuungsagentur reformiert.

Schon allein diese Bilanz zeigt, finde ich, wie wichtig die Grünen in dieser Regierung sind.


Should we stay or should we go?

Regierungsarbeit ist mühsam. Sollte irgendjemand gehofft haben, das Dasein würde sich durch die Grüne Regierungsbeteiligung in eine himmlische Großkonditorei (danke, Heimito von Doderer) verwandeln, so wäre nun ein guter Zeitpunkt, diese Erwartungen zurückzuschrauben.


Wir alle führen gern die Gewaltenteilung und die Existenz einer freien, unabhängigen Medienlandschaft als „vierter Macht im Staate“ im Munde, wenn wir die Grundbausteine einer funktionierenden Demokratie benennen sollen. In einigen Mitgliedstaaten der EU, etwa in Polen oder Ungarn, ist die Gewaltenteilung de facto aufgehoben. Das Parlament ist unter Kontrolle; es wird geduldet, aber verachtet, die Justiz vereinnahmt, die Presse unter Druck gesetzt, gegängelt oder an Günstlinge verscherbelt. Und in der Tat lassen manche Vorkommnisse aus der jüngeren Vergangenheit den Verdacht aufkommen, dass auch wir in Österreich von solchen Zuständen nicht mehr allzu weit entfernt sind.


Diesem Anfangsverdacht müssen wir entschieden entgegentreten. Durch eine Aufwertung des Parlaments, durch gesetzliche Maßnahmen, die Transparenz und Offenheit befördern, durch den aktiven Schutz der Unabhängigkeit der Justiz, durch die Gewährleistung unabhängiger, unbeeinflusster Berichterstattung.


Gestalten ist mühselige, oft frustrierende Kleinstarbeit, weil wir dem Koalitionspartner jedes auch noch so minimale Zugeständnis unter großem Aufwand abringen müssen. (Mehr dazu hier: www.johannes-rauch.at/post/ein-jahr-in-der-bundesregierung)


Aber die Dinge geraten auf vielen Ebenen, die ich hier nicht alle aufzählen will, weil dieses Schreiben ohnehin schon viel zu lang ist, in Bewegung. Der Transformationsprozess ist im Gange, auch wenn manche ihn noch nicht erkennen können oder wollen.


Es ist offen, wie dieser Prozess angesichts der Verwerfungen – auch gesellschaftlich! –, die Corona mit sich gebracht hat, stattfinden wird; ob demokratische Verfasstheit, Rechtsstaatlichkeit und ein gutes Leben für alle anstelle immer größeren Reichtums für wenige sich durchsetzen werden; ob es gelingt, den Generationenvertrag über die Bewohnbarkeit des Planeten für die nächsten 100 oder 200 Jahre sicherzustellen.


Jetzt „rote Linien“ zu definieren, halte ich für abstrus. Wir werden die Grenzen erkennen, wenn sie da sind, und dann gemeinsam entscheiden, wie wir uns verhalten. So lange nehmen wir Verantwortung wahr, so gut wir es können.

Wer, wenn nicht wir, und wann, wenn nicht jetzt!?


[1] Die Unterscheidung richtet sich nach der Maximalhöhe des gesetzlich festgelegten Strafmaßes. Verbrechen sind vorsätzliche Handlungen, die mit lebenslanger oder mit mehr als dreijähriger Freiheitsstrafe bedroht sind. Alle anderen strafbaren Handlungen sind Vergehen. [2] https://www.generalprokuratur.gv.at/der-weisungsrat/ (18.05.2021). [3] https://www.diepresse.com/5629029/daschlogts-es-anzeige-gegen-justizministeriums-generalsekretar-pilnacek (18.05.2021).

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