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"Es gibt Krisenzeiten, in denen nur das Utopische realistisch ist."
(George Steiner)
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„Gesundheit ist ein Zustand des vollständigen körperlichen, geistigen und sozialen Wohlergehens und nicht nur das Fehlen von Krankheit oder Gebrechen.“

(Gesundheitsdefinition der WHO)


„Das Virus ist eine demokratische Zumutung.“

(Angela Merkel)


Haben die Expertinnen und Experten recht,[1] bestehen ganz gute Aussichten, dass die Corona-Pandemie demnächst „endemisch“[2] wird und damit ihren Schrecken verliert. Die Impfung hat sehr viel dazu beigetragen, schwere Verläufe mit langen Spitalsaufenthalten oder gar intensivmedizinscher Behandlung drastisch zu reduzieren.


Aber machen wir uns nichts vor: Die Maßnahmen, mit denen wir die Pandemie bekämpft haben, sind eine unvergleichliche Zumutung an unser demokratisches Selbstverständnis: Masken im öffentlichen Raum, Abstandsregeln, Kontakt- und Zutrittsbeschränkungen, mehrere Lockdowns, in denen das soziale und wirtschaftliche Leben des Landes praktisch zum Erliegen kam, und schließlich die Impfpflicht. Diese Eingriffe in unsere Lebensgewohnheiten, in unser Verständnis von Freiheit und Selbstbestimmtheit wären noch vor drei Jahren unvorstellbar gewesen. Angesichts der Bedrohung durch das Virus waren sie bedauerlicherweise notwendig. Zugleich hat die Regierung mit unerhörten budgetären Kraftakten in Höhe von rund 40 Milliarden Euro die direkten Pandemiekosten und die ökonomischen Folgeschäden der Krise abgefedert, so gut es eben ging.


Langzeitfolgen


Doch zwei Jahre der Pandemie haben Spuren hinterlassen. Wir erleben Menschen, die an Long Covid erkrankt sind und sich nur sehr langsam erholen. Wir erleben eine erschreckende Zunahme an psychischen Erkrankungen, insbesondere bei Kindern und Jugendlichen. Alte und alleinstehende Menschen sind – hoffentlich nur vorübergehend – vereinsamt, Alleinerziehende in einen Zustand struktureller Überforderung geraten, dasselbe gilt beispielsweise für Beschäftigte im Pflege- und Gesundheitswesen. Wir erleben die Verschärfung sozialer Ungleichheiten und eine allgemeine Grundstimmung der Verunsicherung, der Ungeduld, der Ohnmacht, des permanenten Impulses, der Welt ein „Es reicht!“ zuzurufen.

Gerade Kinder und Jugendliche, deren Leben gefühlt schneller verläuft, haben zwei Jahre hinter sich, die sie nicht mehr aufholen können, selbst wenn ab jetzt alles wieder „normal“ würde. Mein dreijähriger Enkel hat zwei Drittel seines bisherigen Lebens unter den Bedingungen der Pandemie verbracht, meine letzten Herbst geborene Enkelin kennt erwachsene Menschen, die nicht dem engsten Familienkreis angehören, nur als Maskenträger:innen.


Nicht erst die letzte Woche im Parlament beschlossene Einführung der Impfpflicht hat zu dramatischen sozialen Verwerfungen geführt. Ich denke, es ist falsch, von einer „Spaltung“ der Gesellschaft zu sprechen, da dieses Bild zwei etwa gleich große Hälften suggeriert, aber es ist nicht zu bestreiten, dass die Corona-Krise Risse verursacht hat. Es gehen Brüche durch Unternehmen, Familien, Beziehungen, Vereine. Freundschaften sind zerbrochen. Die Fronten scheinen verhärtet, unauflöslich, die Standpunkte unversöhnlich. Meinungsverschiedenheiten steigern sich zu erbitterter Gegnerschaft, manchmal zu blankem Hass. Unter solchen Voraussetzungen verschwinden die Bereitschaft und die Möglichkeit, die Welt des jeweils anderen zu verstehen.


Die Immunisierung gegen das Coronavirus schreitet voran, die Immunisierung gegen radikale, staatsfeindliche und offen rechtsradikale Strömungen nimmt ab. Um den Gesundheitszustand unserer Demokratie ist es schlecht bestellt. Die einen unterstellen den anderen, paranoide „Covidioten“ zu sein, die anderen richten den einen aus, sie seien „Faschisten“.


Diese Auseinandersetzungen werden, so viel scheint klar, Langzeitfolgen nach sich ziehen. Die Verletzungen, die wir einander beigebracht haben, werden nicht automatisch verschwinden. Die Zeit wird nicht alle Wunden heilen. Es wird nicht einfach Gras über die traumatischen Erlebnisse der letzten beiden Jahre wachsen.


Wer aber kümmert sich um die Behandlung dieser Traumata, dieser physischen und psychischen Beschädigungen? Wie können Heilung oder wenigstens Versöhnung gelingen? Ich finde, darüber müssen wir reden.


Und auch wenn der großen Mehrheit der Bevölkerung die Sturheit, die Uneinsichtigkeit, die Verbohrtheit, das Misstrauen der kleinen, aber lautstarken Minderheit auf die Nerven gehen: Es ist die Aufgabe der Mehrheit – und damit meine ich zuallererst die Mehrheit im Parlament und die Bundesregierung –, erste Schritte auf die Minderheit zuzugehen, schon allein deswegen, weil sie die Verantwortung für die gesamte Gesellschaft trägt. Doch schließlich kommt es auf uns alle an. Wir müssen neu lernen, aufeinander zuzugehen, zuzuhören, den Disput zu pflegen, Argumente von Emotionen zu unterscheiden.


Und nun?


Wir brauchen dringend ein Ventil, durch das die aufgeheizte Luft aus dem Druckkochtopf, in den die Gesellschaft sich zu verwandeln droht, entweichen kann. Die Einführung der Impfpflicht hat die Temperatur insbesondere auf der Seite der ungeimpften Minderheit aller ideologischen Schattierungen noch einmal bedeutend erhöht.

Nach dem Ende des „Lockdowns für Ungeimpfte“ brauchen wir weitere Ventile, durch die der Druck entweichen kann.[3] Auch wenn die Maßnahme nicht als Strafsanktion konzipiert war (sondern die Überlastung des Gesundheitssystems verhindern sollte), steht er mit der Impfpflicht in einem widersprüchlichen Verhältnis. Es ist unter den aktuellen gesetzlichen und pandemischen Bedingungen nicht länger vertretbar, bestimmte Menschen von weiten Bereichen des öffentlichen Lebens fernzuhalten. Der Besuch von Restaurants und Geschäften jenseits der Apotheken und Supermärkte, das Treffen von Menschen, das Pflegen sozialer Kontakte soll für alle gleichermaßen gegeben sein. Die Frage, ob die Beendigung des „Lockdowns für Ungeimpfte“ auch die Teilnahme an Großveranstaltungen ermöglichen soll, ist heikel; vermutlich wäre eine Maximalgröße zu definieren. Ebenso wenig ist es einfach, den richtigen Zeitpunkt für die Aufhebung dieser Maßnahmen zu finden. Dieser sollte zumindest mit jenen Parlamentsparteien koordiniert werden, die der Einführung der Impfpflicht zugestimmt haben.


Als nächster Schritt sollten die in den diversen Covid-Maßnahmengesetzen verankerten Sonderbestimmungen für Legislative und Exekutive außer Kraft treten. Regierungen und Parlamente (Nationalrat, Landtage, Gemeinderäte) kehren in den verfassungsrechtlichen Normalbetrieb zurück.


Gleichzeitig müssen Verfassungsschutz, Polizei und Justiz kompromisslos gegen jene Gruppen vorgehen, die im Windschatten der Pandemie und im Rahmen von Demonstrationen offen rechtsextreme und staatsfeindliche Aktionen setzen. Die Bedrohung von Ärzt:innen, Pfleger:innen, Lehrer:innen oder Politiker:innen muss mit allen Mitteln des Rechtsstaates bekämpft werden.


Und dann: Aufarbeitung


Es liegt an der Regierung, den institutionellen Rahmen zu schaffen, in dem wir alle die gesellschaftlichen Folgen der Pandemie aufarbeiten können. Symposien, politische Debatten, sozialwissenschaftliche Forschungsprojekte und parlamentarische Gremien sind hierfür nicht genug. Wir müssen uns vor allem Formate überlegen, denen sich auch jene Menschen annähern können, die in den letzten beiden Jahren auf maximale Distanz gegangen sind.

Das wird ein langer und mühsamer Prozess, von dem überhaupt nicht klar ist, ob er zum Erfolg führen wird. Doch beginnen wir ihn nicht, laufen wir Gefahr, einen bedeutenden Teil der Bevölkerung dauerhaft für alles zu verlieren, was sich mit den Begriffen Demokratie, Teilhabe, Solidarität und Gemeinsinn unscharf umschreiben lässt.


Selten war Politik schwieriger als während – und nach – Corona.


PS: Ich habe zu dem Thema das eine oder andere Interview gegeben, nachzulesen in der Presse, in den Salzburger Nachrichten und im Kurier. [1] Vgl. z. B. https://unchartedterritories.tomaspueyo.com/p/covid-end-game (25.01.2022), https://www.morgenpost.de/vermischtes/article234395811/corona-who-endphase-pandemie-omikron-drosten-impfpflicht.html (25.01.2022), https://de.euronews.com/2022/01/24/who-halt-ende-der-pandemie-in-europa-nach-omikron-welle-fur-plausibel (25.01.2022). [2] „Endemisch“ bedeutet, dass das Virus bei uns – ähnlich wie die Grippe oder FSME – heimisch wird, aber keine großen Schwankungen mehr auslöst. Die Krankheit wird berechenbar.

[3] Wiens Gesundheitsstadtrat Peter Hacker hat völlig recht mit der Einschätzung, dass das eine überaus unglückliche Wortwahl war.

Zum 77. Jahrestag der Befreiung von Auschwitz

Josef Wolfgang war ein ehrenwerter Mann. Ein Hohenemser Kaufmann, seit 1933 Ortsgruppenleiter der NSDAP in der Marktgemeinde. 1938, kurz nach dem „Anschluss“, wurde Wolfgang Bürgermeister von Hohenems.[1]

Am 12. Juli 1940 schrieb Bürgermeister Wolfgang einen Brief an den Landrat des Kreises Feldkirch. Die einstmals große jüdische Gemeinde von Hohenems existierte zu diesem Zeitpunkt schon nicht mehr, ihre Mitglieder waren geflohen, vertrieben oder nach Wien verbracht worden. Frieda Nagelberg, 50 Jahre alt, geboren in Stryj in Galizien, war vermutlich die letzte in Hohenems verbliebene Jüdin, und Wolfgang wollte auch sie loswerden, denn: „Wie bereits berichtet, lege ich größten Wert darauf, dass auch die letzte Jüdin das Land Vorarlberg verlässt, und wenn ihre Übersiedlung nach Wien an der Tragung der Fahrtkosten scheitern sollte, wäre ich bereit, dieselben zu übernehmen.“ Frieda Nagelberg wurde nach Wien deportiert. Am 9. April 1942 hatte sie sich am Wiener Aspangbahnhof einzufinden. Von dort fuhr an diesem Tag ein Deportationsgüterzug mit etwa 1.000 Insassen nach Izbica ab, eine Kleinstadt, gelegen im Distrikt Lublin des sogenannten Generalgouvernements. Keiner dieser Menschen überlebte. Frieda Nagelberg wurde mit hoher Wahrscheinlichkeit im Jahr 1942 im Vernichtungslager Bełzec ermordet.[2]




Die Shoah, die Vernichtung der europäischen Jüdinnen und Juden, wäre undurchführbar gewesen ohne den Eifer lokaler Honoratioren, ohne die Willfährigkeit der lokalen Bevölkerung, auch und gerade in Österreich. Davon legt die neu gestaltete Ausstellung im Österreich-Pavillon des Konzentrationslagers Auschwitz eindrucksvoll Zeugnis ab.


Schon 2009 beauftragte die Republik Österreich den Nationalfonds, die Länderausstellung in Auschwitz neu zu entwickeln und zu gestalten, da die vorherige Präsentation sich vor allem auf Österreichs Opferrolle während des Nationalsozialismus konzentriert hatte und auf keiner Ebene mehr wissenschaftlichen, historischen und gestalterischen Anforderungen entsprach. Doch – wie so oft in Österreich – es dauerte. 2014 machte sich schließlich ein Team um den Salzburger Historiker Albert Lichtblau an die Arbeit, Anfang Oktober 2021 eröffneten Bundespräsident Alexander Van der Bellen und Nationalratspräsident Wolfgang Sobotka die neue Ausstellung, die nun einen sehr differenzierten Blick auf die Beteiligung von Österreicherinnen und Österreichern an der nationalsozialistischen Vernichtungspolitik wirft.


Denn es gab eben nicht nur vereinzelte österreichische Sadisten wie Franz Murer, den „Schlächter von Wilna“, oder eiskalte Bürokraten des Mordes wie Adolf Eichmann oder Ernst Kaltenbrunner, den Leiter des Reichssicherheitshauptametes. Die Shoah war ein arbeitsteiliger Prozess, an dessen Durchführung zahlreiche österreichische Männer und Frauen beteiligt waren, von dem Kärntner Odilo Globocnik, der die sogenannte „Aktion Reinhard“ leitete, die Ermordung der Jüdinnen und Juden des Generalgouvernements, über den Salzburger Hermann Höfle, der als „Judenreferent“ in Lublin Globocniks wichtigster Mitarbeiter war, den Innsbrucker Architekten Walter Dejaco, der die Vernichtungsanlagen und Krematorien in Auschwitz-Birkenau plante, bis hin zum Hohenemser Bürgermeister Josef Wolfgang, dem es ein Anliegen war, auch noch die letzte Jüdin der Marktgemeinde nach Wien abzuschieben.


Rein wissenschaftlich betrachtet, ist die neue Österreich-Ausstellung im Block 17 des Staatlichen Museums Auschwitz-Birkenau ein großer Wurf. Sie verdeutlicht das Grauen sowohl durch den Bezug auf die Täterinnen und Täter als auch auf die Perspektive der Opfer und vergisst auch nicht, auf die Keime der Zivilcourage und des Widerstandes hinzuweisen, die sich in Auschwitz regten. Harald Walser hat erst vor wenigen Monaten eine Monografie über die Krankenschwester Maria Stromberger vorgelegt, den „Engel in der Hölle von Auschwitz“, die 1957 in Bregenz starb.[3] Stromberger kollaborierte mit der internationalen „Kampfgruppe Auschwitz“, einem Zusammenschluss polnischer und österreichischer Lagerinsassen, der unter anderen Hermann Langbein und Alfred Klahr angehörten, und schmuggelte Aufzeichnungen über die Zustände im Lager nach Wien zu Hermann Langbeins Bruder Otto, der versuchte, die Weltöffentlichkeit hinsichtlich der Existenz des Vernichtungslagers aufzurütteln.


Heute vor 77 Jahren befreiten Soldaten der Roten Armee das Konzentrationslager Auschwitz. Über eine Million Menschen wurden dort in den Jahren 1940 bis 1945 ermordet. An Tagen wie heute führen viele Menschen das Schlagwort „Niemals vergessen!“ im Mund und beteuern, dass „so etwas“ nie wieder geschehen dürfe. Ich möchte mit einem Zitat der 2020 verstorbenen Schriftstellerin Ruth Klüger schließen, die Auschwitz überlebt hat: „Man sagt ‚Nie wieder‘ und dann schauen Sie sich mal die Massaker an, die inzwischen passiert sind. Es ist absurd zu sagen, es soll nicht wieder passieren.“

[1] Vgl. Johannes Spies: Die Hohenemser Stolpersteine als Ansatzpunkte einer biographiebezogenen Auseinandersetzung mit der lokalen NS-Geschichte. Abschlussarbeit an der Pädagogischen Hochschule Oberösterreich, 2015, 25. [2] Vgl. die Datenbank der österreichischen Opfer der Shoah unter http://www.doew.at (27.01.2022). [3] Harald Walser: Ein Engel in der Hölle von Auschwitz. Das Leben der Krankenschwester Maria Stromberger. Wien 2021.

Johannes Rauch

Ganz ehrlich: Es ist ein unvergleichliches Gefühl, in einen unverspurten Tiefschneehang einzufahren, der sich wie eine Seidendecke vor dir ausbreitet. Schwünge im federleichten, durchgefrorenen Pulver ziehen zu können, gibt einen einzigartigen „flow“, es ist wie Schweben. Für kurze Momente ist man in völligem Einklang mit der Natur, empfindet sich als Teil eines umfassenden Ökosystems.



Mir ist schon bewusst, dass der Pulverschnee gnädig die Verletzungen verdeckt, die wir der Natur unablässig zufügen, und dass ich mich daher lediglich einer Illusion der Unberührtheit hingebe, aber dennoch: Das kurze Glücksgefühl ist real, und es kann sich nur deshalb so stark entfalten, weil ich zuvor mit meinen Tourenskiern den Berg hinaufgestapft bin. Der Aufstieg ist Teil des Ganzen und nicht lästige Mühsal.



In den letzten Tagen ist sehr viel über das Wider – und auffälligerweise sehr wenig über das Pro – des sogenannten Heliskiings geschrieben worden. Ein Helikopterservice in Lech fliegt etwa 250-mal pro Saison auf den Mehlsack und das Schneetäli und will das auch weiterhin tun. Der Landeshauptmann hat sich über die Einwände der BH Bludenz, der Naturschutzabteilung des Landes, des Verwaltungsgerichtshofs, der Naturschutzanwältin, unzähliger Sachverständiger und NGOs sowie des Koalitionspartners hinweggesetzt und die Genehmigung, die es dem Helikopterbetrieb in Lech erlaubt, die beiden Berge weiterhin anzufliegen, um zweieinhalb Jahre verlängert. Lech ist der einzige Ort in Österreich, in dem Heliskiing gestattet ist. Ich werde, das habe ich bereits angekündigt, alle rechtlichen Möglichkeiten prüfen, um diesen umweltpolitischen Unfug zu beenden.


In Tirol beispielsweise ist „die Verwendung von Hubschraubern zur Beförderung von Personen für touristische Zwecke“ generell verboten und lediglich zwischen Flugplätzen erlaubt. In den Kärntner Alpinregionen ist „die Vornahme von Außenabflügen und Außenlandungen mit motorbetriebenen Luftfahrzeugen“ ebenfalls verboten, Ausnahmen bestehen lediglich für Katastropheneinsätze, für die Versorgung von Schutzhütten und bestimmte Zwecke der Wildhege und der Landwirtschaft. Es ist höchste Zeit, dass Vorarlberg einen ähnlichen Weg einschlägt und das Verbot von Helikopterflügen zu Tourismuszwecken landesgesetzlich verankert.

Darüber hinaus besteht in Österreich laut Luftfahrtgesetz ein grundsätzlicher Flugplatzzwang. Ich halte es für sinnvoll, darüber nachzudenken, Flügen zu touristischen Zwecken und sonstiger nicht dringlicher Natur die Bewilligung für Außenlandungen und abflüge generell zu versagen.


Denn Heliskiing ist die dekadenteste Form des Schifahrens, das beinahe bemitleidenswert hilflose Bemühen um „Distinktionsgewinn“, oder um es mit einem anderen Wort, ebenfalls von Pierre Bourdieu, zu sagen: „Die feinen Unterschiede“ machen es aus. Man fährt nicht dort, wo die gewöhnlichen Lecher und Zürser Feriengäste sich tummeln, sondern sucht die Exklusivität auf den Hängen jener Berge, die noch nicht von Liften, Seilbahnen und Pisten durchzogen sind. Man ist jedoch nicht bereit, für dieses Vergnügen die Mühsal des Aufstiegs auf sich zu nehmen – das ließe der körperliche Gesamtzustand dieser Klientel vermutlich gar nicht zu –, man lässt sich auf den Gipfel fliegen. Wie früher römische Senatoren oder indische Moguln sich auf Sänften durch die Straßen transportieren ließen, nutzen die Parvenus der Berge nun eben Hubschrauber, um dorthin zu gelangen, wohin ihre Füße sie nicht tragen würden. Dieses arrogante Streben nach Unterscheidbarkeit erinnert mich an Bret Easton Ellis’ Yuppie-Horror-Roman American Psycho aus dem Jahr 1991, in dem durchgeknallte Börsenmakler ihr verlorengegangenes Selbstwertgefühl zu kompensieren versuchen, indem sie Visitenkarten aus Elfenbein anfertigen lassen oder geschmolzenes Eis vom Südpol trinken.

Distinktion ist tatsächlich der einzige „Wert“, der sich mit Heliskiing verkaufen lässt. Ökonomisch ist die ganze Angelegenheit völlig irrelevant. Der Standard hat recherchiert, dass ein Flug – drei Passagiere plus ein:e Bergführer:in – rund 500 Euro kostet. Bei 250 Flügen pro Saison ergibt das einen Umsatz von 125.000 Euro. Davon, wage ich zu behaupten, wird das Gras auf den Weiden des Arlbergs nicht fett. Der Helikopterservice, der die Genehmigung beim Landeshauptmann beantragt und diese auch erhalten hat, hat 2020 laut Firmenbuch einen Bilanzgewinn von knapp 3,2 Millionen Euro verbucht.

Auch unter touristischen Gesichtspunkten spielt das Heliskiing keine Rolle. Lech und Zürs meldeten vor Beginn der Pandemie rund 850.000 Nächtigungen in der Wintersaison. So viel Geld können die hochgerechnet 750 Heliskiing-Tourist:innen gar nicht auf Après-ski-Partys ausgeben, dass ihr Ausbleiben eine Delle in die wirtschaftliche Gesamtsituation des Schigebiets schlagen würde.

Selbst das Sicherheitsargument zählt nicht. Es lässt sich kein „öffentliches Interesse“ an den touristischen Helikopterflügen herbeikonstruieren. Die Vorarlberger Bergrettung betreibt – ohne jegliche Verbindung zum Heliskiing – den Rettungshubschrauber Gallus 1, der dem angesprochenen Helikopterservice gehört, aber die ganze Saison über in Zürs steht und für Rettungseinsätze verwendet werden kann. Der Hubschrauber, der die betuchten, aber trägen Tourist:innen auf den Mehlsack und das Schneetäli bringt, kommt in der Früh aus Ludesch nach Lech und fliegt nach Beendigung seines Tagespensums zurück. Es entsteht kein zusätzliches Sicherheitselement durch das Heliskiing.


Warum also das Ganze? Warum gestattet das Land einigen wenigen neureichen Tourist:innen die Ausübung groben Unfugs in unserer einzigartigen Bergwelt, im vollen Bewusstsein der Tatsache, dass hier ökologische Schäden angerichtet und die Prinzipien des Natur- und Tierschutzes mit Füßen getreten werden? Wem nützt der Blödsinn?


Die Grünen, so viel sei schon noch angemerkt, haben stets Stellung gegen das Heliskiing bezogen, zuletzt in der Debatte 2016/17, als wir bereits in Regierungsverantwortung standen. Natürlich haben Markus Wallner und ich die Causa intern BEsprochen, aber nicht ABGEsprochen. Das ist ein gewaltiger Unterschied. Die Verlängerung der Genehmigung war, wie erwähnt, die alleinige, einsame und völlig unverständliche Entscheidung des Landeshauptmanns.



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